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Das Potenzial der KI für alle nutzbar machen

CAMBRIDGE – Die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Menschen nutzen generative KI und große Sprachmodelle (Large Language Models, LLM), um neue Dienstleistungen zu entwickeln und bestehende Aufgaben zu erledigen, und die zugrunde liegende Technologie selbst macht rasche Fortschritte. Wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Michael Spence feststellt, könnte diese Welle der Einführung von KI nach fast zwei Jahrzehnten des schwachen Wachstums zu erheblichen Produktivitätssteigerungen führen. Jeden Tag gibt es neue Beispiele, wie die jüngste Ankündigung von Google, dass seine KI American Airlines dabei geholfen hat, Kondensstreifen um 54 % zu reduzieren und damit die Klimabilanz jedes einzelnen Fluges zu verbessern.

Doch es gibt nicht nur gute Nachrichten. So wie es aussieht, wird die KI eher dazu beitragen, die Dominanz der großen Technologieunternehmen zu festigen. Sie verfügen über die Ressourcen, um die leistungsfähigsten KI-Modelle zu entwickeln und zu warten, und sie sind bereits dabei, LLM mit ihren bestehenden Dienstleistungen zu bündeln. Diese Entwicklungen kommen zu einer Zeit, in der Kartellbehörden weltweit bereits zunehmend besorgt über die Marktmacht von Technologieunternehmen sind.

Einige Kommentatoren – darunter ein Google-Ingenieur in einem internen Memo – argumentieren, dass diese Befürchtung übertrieben ist, da es Open-Source-LLM gibt, die es technisch jedem ermöglichen, auf dem Markt zu konkurrieren. Aber selbst wenn es einen Aufschwung kleinerer neuer Marktteilnehmer geben sollte, scheint die Vorherrschaft von Big Tech immer noch sicher zu sein. Ein kürzlich veröffentlichtes Papier, in dem Open-Source-Modelle mit den KI-Diensten für Anwendungsprogrammierschnittstellen (API) verglichen werden, die Big-Tech-Unternehmen Dritten zur Verfügung stellen, kommt zu dem Schluss, dass letztere bei den meisten Kriterien deutlich besser abschneiden.

Vielleicht wird sich dies ändern. Vorerst jedoch verbessern sich die Leistungen der führenden LLM mit steigenden Investitionen weiter, und sie könnten sich einem Wendepunkt nähern, an dem sie in der Lage sein werden, neue und unerwartete Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Viel Geld zu haben spielt eine Rolle.

Angesichts der schieren Macht von Big Tech in vielen Ländern ist es nicht überraschend, dass politische Entscheidungsträger Schwierigkeiten haben, energische, wirksame und kohärente Antworten zu finden. In einigen Ländern sind politische Entscheidungsträger und Branchenführer bereits in politische Auseinandersetzungen verwickelt. So blockierte Meta (Facebook) kürzlich Nachrichtenlinks aus Kanada als Reaktion auf die Forderung der kanadischen Regierung, dass die Plattformen die Herausgeber von Nachrichten entschädigen müssen. Eine ähnliche Kontroverse gab es zuvor in Australien, wo die Regierung inzwischen neue Pläne angekündigt hat, Online-Plattformen wegen Beihilfe zur Verbreitung von Falschinformationen mit Geldstrafen zu belegen.

Im Vereinigten Königreich hat ein viel kritisierter „Online Safety Act“ einige Technologieunternehmen dazu veranlasst, mit dem Rückzug aus dem Markt zu drohen. Und in den Vereinigten Staaten hat der Kongress wettbewerbsfördernde Maßnahmen wie den vorgeschlagenen Open Markets Act in Erwägung gezogen, und die neuen aktivistischen Kartellbehörden der Biden-Administration haben mehrere Klagen gegen Google, Amazon, Meta und Apple eingereicht.

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Während einige politische Entscheidungsträger über fundierte Kenntnisse im Bereich der KI verfügen, ist ihr Fachwissen jedoch eher begrenzt, und die meisten anderen Entscheidungsträger verstehen das Thema einfach nicht gut genug, um sinnvolle Maßnahmen zu entwickeln. Aufgrund dieser relativ geringen Wissensbasis und der unvermeidlichen Informationsasymmetrie zwischen Regulierern und Regulierten werden politische Antworten auf bestimmte Fragen wahrscheinlich unzureichend bleiben, stark von der Lobbyarbeit beeinflusst werden oder höchst umstritten sein.

Was ist also zu tun? Die beste Option ist vielleicht eine prinzipienbasierte Politik. Dieser Ansatz hat im Zusammenhang mit Themen wie Desinformationen und Trolling bereits an Bedeutung gewonnen. Viele Experten und Befürworter dieses Ansatzes sind der Meinung, dass Big-Tech-Unternehmen eine allgemeine Sorgfaltspflicht haben sollten (d. h. eine Standardorientierung in Richtung Vorsicht und Schadensbegrenzung).

In einigen Ländern gelten bereits ähnliche Grundsätze für Nachrichtensender, die zu Genauigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet sind. Auch wenn die Durchsetzung in diesen Bereichen schwierig sein kann, verfügen wir bereits über eine Rechtsgrundlage, um von Technologieanbietern ein Verhalten zu verlangen, das weniger schädlich für die Gesellschaft ist.

Wenn es um Wettbewerb und Marktbeherrschung geht, bietet die Telekommunikationsregulierung mit dem Prinzip der Interoperabilität ein brauchbares Modell. Kunden von konkurrierenden Dienstleistern können sich immer noch gegenseitig anrufen, weil alle Telekommunikationsunternehmen verpflichtet sind, gemeinsame technische Standards und Gegenseitigkeitsvereinbarungen einzuhalten. Das Gleiche gilt für Geldautomaten: Sie müssen vielleicht eine Gebühr bezahlen, können aber trotzdem bei jeder Bank Bargeld abheben.

Bei digitalen Plattformen ist der Mangel an Interoperabilität in der Regel gewollt, um Nutzer zu binden und „Burggraben“ zu schaffen. Aus diesem Grund sind die politischen Diskussionen über die Verbesserung des Datenzugangs und die Gewährleistung des Zugangs zu vorhersehbaren Programmierschnittstellen nicht vorangekommen. Es gibt jedoch keinen technischen Grund, warum eine gewisse Interoperabilität nicht wiederhergestellt werden könnte. Schließlich scheinen die großen Technologieunternehmen keine größeren Probleme mit der Integration der neuen Dienste zu haben, die sie durch die Übernahme von Konkurrenten erworben haben.

Im Fall von LLM könnte die Interoperabilität wahrscheinlich nicht auf die Modelle selbst angewendet werden, da nicht einmal ihre Schöpfer ihre Funktionsweise verstehen. Sie kann und sollte jedoch für Interaktionen zwischen LLM und anderen Diensten, wie z. B. Cloud-Plattformen, gelten.

Wenn ich beispielsweise Microsoft 365 abonniere, sollte ich weiterhin Googles PaLM2 nutzen können und nicht gezwungen sein, auch Microsofts Copilot oder das GPT-4-Add-on zu verwenden. Dieser Grundsatz wurde bereits in der bahnbrechenden Kartellrechtsentscheidung von 2001 gegen die Bündelung des Internet Explorers durch Microsoft und erneut in der Entscheidung von 2007 gegen die Bündelung des Windows Media Players festgelegt.

Eine feste Zusage, dieselben Grundsätze auch auf LLM anzuwenden, würde wesentlich dazu beitragen, eine weitere Marktkonzentration zu verhindern. Damit die KI ihr Versprechen für die Gesellschaft einlösen kann, muss sie für alle zugänglich sein und den Verbesserungen, die ein freier und fairer Wettbewerb mit sich bringt, unterworfen werden.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/w5kOBpade